von Sina Beckmann
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Wo hört legitimer Lobbyismus auf – und wo beginnt korrupte Einflussnahme?

Lobbyismus gehört zur Demokratie – doch wenn politische Entscheidungen durch finanzielle Interessen beeinflusst werden, ist die Grenze zur Korruption oft nah. Im aktuellen Podcast werfen wir einen kritischen Blick auf bekannte Fälle wie die Amthor-Affäre oder die Maskendeals während der Pandemie, analysieren das Lobbyregister des Bundestages und diskutieren systemische Schwächen bei Kontrolle und Transparenz. Dieser Beitrag vertieft unsere Recherchen, ergänzt sie um konkrete Zahlen, gesetzliche Grundlagen und Hintergrundinformationen – und zeigt auf, wie eng Politik und Interessenvertretung heute verflochten sind. Für alle, die genau wissen wollen, wer in Deutschland Einfluss nimmt – und wie.

Bild vom Unterkörper eines Mannes mit Anzug der eine Hand reicht in dem ein DIN A3 Umschlag ist

Was ist Lobbyismus – und was ist Korruption?

Definitionen: Lobbyismus, Vorteilsnahme, Bestechlichkeit

Der Begriff Lobbyismus bezeichnet die Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch Organisationen, Unternehmen, Verbände oder auch NGOs – meist über direkte Kommunikation mit Entscheidungsträger:innen. In demokratischen Systemen ist das grundsätzlich legitim, sofern es transparent und rechtskonform erfolgt.

Davon abzugrenzen sind Formen der Korruption, die laut Transparency International definiert sind als „Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Vorteil“. Im deutschen Strafrecht finden sich u. a. folgende Tatbestände:

  1. Vorteilsnahme (§331 StGB): Annahme von Geschenken oder Vergünstigungen im Amt, ohne direkte Gegenleistung.
  2. Bestechlichkeit (§332 StGB): Annahme von Vorteilen für pflichtwidriges Verhalten.
  3. Bestechung (§334 StGB): Aktive Einflussnahme durch Gewährung von Vorteilen an Amtsträger:innen.

Problematisch wird Lobbyismus immer dann, wenn private Vorteile mit politischer Macht verknüpft werden – sei es über Aufsichtsratsposten, Beraterverträge oder undurchsichtige Einflussnahmen auf Gesetzesprozesse.

Warum ist das Thema Lobbyismus so wichtig?

Demokratie und Vertrauen

Ein funktionierender Rechtsstaat lebt vom Vertrauen der Bürger:innen in die politischen Institutionen. Wenn jedoch der Eindruck entsteht, dass Geld, Nähe und Netzwerke mehr zählen als Argumente und Gemeinwohl, ist dieses Vertrauen in Gefahr. Korruption und undurchsichtige Einflussnahme untergraben nicht nur die Legitimation einzelner Entscheidungen, sondern beschädigen das demokratische System als Ganzes.

Gefahren durch Intransparenz

Wer Zugang zu politischen Entscheidungsträger:innen hat – und wer nicht –, entscheidet oft über den Einfluss auf Gesetze und Fördermittel. Das schafft eine ungleiche Verteilung politischer Macht und begünstigt wirtschaftsstarke Akteure. Ohne transparente Regeln und Kontrolle können politische Entscheidungen käuflich wirken – selbst wenn formal kein Gesetz verletzt wird.

Umso wichtiger sind klare gesetzliche Regeln, ein gut funktionierendes Lobbyregister und unabhängige Kontrollinstanzen. Prävention ist der Schlüssel, bevor Vertrauen dauerhaft verloren geht.

Wie viele Lobbyvereine gibt es in Deutschland?

Zahlen und Verteilung

Laut Lobbyregister des Deutschen Bundestages waren Anfang 2025 insgesamt 5.995 aktive Interessenvertretungen registriert. Die Zusammensetzung zeigt die Vielfalt an Akteuren, die politische Prozesse beeinflussen:

  • Juristische Personen: 5.164 (86,1 %)
  • Natürliche Personen: 257 (4,3 %)
  • Personengesellschaften: 199 (3,3 %)
  • Netzwerke, Plattformen u. a.: 282 (4,7 %)
  • Sonstige: 93 (1,6 %)

Diese Zahlen umfassen neben Unternehmen und Wirtschaftsverbänden auch Gewerkschaften, NGOs, kirchliche Einrichtungen und weitere zivilgesellschaftliche Akteure. Auffällig ist jedoch, dass wirtschaftsnahe Organisationen den Großteil stellen – insbesondere in Berlin und Brüssel.

Einflussreiche Organisationen und ihre Budgets

Besonders mächtig sind jene Organisationen, die über erhebliche finanzielle Mittel verfügen. Die folgenden Verbände gehören zu den ausgabestärksten Lobbyakteuren in Deutschland:

  1. GDV (Versicherungswirtschaft): ca. 15,1 Mio. € jährlich
  2. VCI (Chemische Industrie): ca. 9,2 Mio. €
  3. BDI (Industrie, Querschnitt): ca. 8,8 Mio. €
  4. BDEW (Energie und Wasser): ca. 8 Mio. €
  5. BDA (Arbeitgeberverbände): ca. 6,7 Mio. €
  6. VDA (Automobilindustrie): ca. 6 Mio. €

Diese Mittel fließen in Veranstaltungen, Studien, Positionspapiere, Hintergrundgespräche und politische Vernetzung. Allein die Präsenz solcher Budgets wirft Fragen nach Gleichgewicht und Zugangsgerechtigkeit in politischen Aushandlungsprozessen auf.

Wie funktioniert Lobbykontrolle?

Pflichten zur Meldung und Registrierung

Seit Anfang 2022 gibt es in Deutschland ein verpflichtendes Lobbyregister beim Deutschen Bundestag. Es soll Transparenz über Akteur:innen, Tätigkeiten und finanzielle Aufwendungen in der politischen Interessenvertretung schaffen. Wer regelmäßig mit Bundestagsabgeordneten, Fraktionen oder der Bundesregierung kommuniziert, muss sich registrieren.

Folgende Angaben sind verpflichtend:

  • Namen und Rechtsform der Organisation
  • Vertretene Interessen (z. B. Klimapolitik, Steuerrecht)
  • Auftraggeber:innen bei Mandatslobbyismus
  • Anzahl der Beschäftigten im Lobbybereich
  • Jährliche Ausgaben (in abgestuften Kategorien)
  • Beteiligungen an Gesetzgebungsverfahren

Einträge müssen jährlich aktualisiert werden oder bei wesentlichen Änderungen angepasst werden. Trotz Fortschritten bleibt das Register jedoch in vielerlei Hinsicht lückenhaft.

Mechanismen zur Offenlegung

Das Lobbyregister ist öffentlich einsehbar, jedoch mit Einschränkungen: Es ist nicht möglich, gezielt nach Politiker:innen zu suchen, um Kontakte oder Gespräche nachvollziehen zu können. Auch persönliche Treffen und Gesprächsinhalte müssen nur in wenigen Fällen dokumentiert werden – etwa bei Minister:innen oder Staatssekretär:innen.

Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften und Spitzenverbände der Wirtschaft wie der BDA sind aktuell von der Registrierungspflicht ausgenommen.

Instanzen der Kontrolle

Zuständig für das Register ist die Verwaltung des Deutschen Bundestages. Sie prüft Einträge auf formale Vollständigkeit und Plausibilität. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 50.000 € – etwa bei Falschangaben oder unterlassener Registrierung.

Allerdings gibt es keine inhaltliche Prüfung der Angaben, keine unabhängige Instanz und keine systematische Kontrolle der Lobbyziele oder Einflussstrategien.

Lücken im System

Die Kontrolle basiert weitgehend auf Selbstauskunft der Lobbyakteure. Viele Details – wie Kontakte auf Abgeordnetenebene oder die Rolle von Ehrenämtern – bleiben im Verborgenen. Ein Beispiel: Ehrenamtliche Funktionen in Lobbyvereinen, etwa als Vorstand oder Beirat, müssen nicht gemeldet werden, obwohl sie erheblichen Einfluss ermöglichen können.

Die Zivilgesellschaft übernimmt daher eine entscheidende Rolle: Organisationen wie LobbyControl oder Transparency International dokumentieren problematische Fälle und sorgen über Medien und Öffentlichkeit für .

Fehlverhalten von Bundestagsabgeordneten wird formal vom Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung geprüft. Dieser gibt Empfehlungen an das Präsidium – eine Selbstkontrolle der Politik, die immer wieder in der Kritik steht.

Philipp Amthor: Lobbyismus-Affäre und politisches Comeback

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor geriet 2020 ins Zentrum einer Lobbyismus-Affäre um das New Yorker Start-up Augustus Intelligence. Amthor hatte im Oktober 2018 auf offiziellem Bundestags-Briefpapier einen Brief an Wirtschaftsminister Peter Altmaier geschrieben, um dem Unternehmen politisches Gehör zu verschaffen. Wenig später erhielt er von Augustus Intelligence einen Sitz im Verwaltungsrat (Direktorium) und lukrative Aktienoptionen als Gegenleistung. Diese Vermischung von Abgeordnetenmandat und privaten Vorteilen – inklusive Aktienoptionen, Posten und Luxusreisen – zeugte von einem klaren Interessenkonflikt.

Chronologie der Augustus-Intelligence-Affäre

Der Auslöser der Affäre war Amthors Schreiben vom 1. Oktober 2018 an Altmaier. Intern bedankten sich Firmenvertreter für den „geilen Brief“ – ein Hinweis darauf, wie wertvoll Amthors politischer Einfluss für das Start-up war. Im Frühjahr 2019 stieg Amthor offiziell bei Augustus Intelligence ein und fungierte rund ein Jahr lang als Direktor der Firma. Als Gegenleistung wurden ihm umfangreiche Aktienoptionen eingeräumt, die ihm im Erfolgsfall erhebliche Gewinne versprochen hätten. Öffentlich bekannt wurde all dies im Juni 2020 durch Investigativberichte, u. a. vom Spiegel, was ein politisches Beben auslöste. Der Fall offenbarte, wie Amthor seine Kontakte nutzte, um dem unbekannten Unternehmen Türen in der Bundesregierung zu öffnen, während er selbst an der Firma finanziell beteiligt war.

Untersuchungen und politische Reaktionen

Die Enthüllungen zogen umgehend Ermittlungen und Konsequenzen nach sich. Amthor räumte seinen „Fehler“ ein und beendete seine Tätigkeit für die Firma noch 2020. Er betonte, er habe die Nebentätigkeit ordnungsgemäß dem Bundestag angezeigt und die Aktienoptionen nicht ausgeübt. Dennoch bezeichnete die Opposition sein Verhalten als „eklatantes Fehlverhalten“, das nicht einfach mit einer Entschuldigung abgetan werden könne. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sah zwar zunächst „überhaupt keinen Regelverstoß“ – Amthor hatte formal die Transparenzvorschriften eingehalten –, doch der öffentliche Druck blieb hoch. Die Staatsanwaltschaft Berlin prüfte sogar den Anfangsverdacht auf Bestechlichkeit, fand letztlich aber keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Straftat.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss war indirekt von der Affäre betroffen: Amthor war Mitglied des Untersuchungsausschusses zum Anschlag am Breitscheidplatz – und sollte dort ausgerechnet Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen befragen, der selbst für Augustus Intelligence tätig war. Aufgrund dieses Interessenkonflikts zog Amthor sich 2020 aus dem Ausschuss zurück. Unter wachsendem Druck verzichtete er außerdem auf eine Kandidatur für den Landesvorsitz der CDU Mecklenburg-Vorpommern.

Rückkehr in politische Schlüsselpositionen

Trotz der Affäre gelang Amthor ein politisches Comeback. Bei der Bundestagswahl 2021 zog er über die Landesliste erneut in den Bundestag ein. Dort profilierte er sich als innenpolitischer Hardliner der CDU. Inzwischen ist er ordentliches Mitglied im Innenausschuss des Bundestages und bekleidet wichtige Funktionen innerhalb der Unionsfraktion. Im April 2024 wurde er zudem zum Generalsekretär der CDU Mecklenburg-Vorpommern gewählt – ein klares Zeichen für seinen Rückhalt in der Partei.

Transparenz, IFG und politische Verantwortung

Brisant: Ausgerechnet Amthor gehört zu den prominentesten Kritikern des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) – jenem Gesetz, das 2020 maßgeblich zur Aufdeckung seiner Lobbyverbindungen beitrug. Medienberichten zufolge schlug er 2023/2024 im Rahmen von Unionsverhandlungen vor, das IFG abzuschaffen oder deutlich zu schwächen. Er selbst spricht von einer „Neujustierung“ – Kritiker:innen hingegen von einem Versuch, staatliche Transparenz zurückzufahren.

Organisationen wie LobbyControl warnten vor einem Rückfall in die Intransparenz: Es sei problematisch, dass ein Politiker, der selbst durch das IFG unter Druck geraten sei, nun an dessen Einschränkung arbeite. Auch Journalist:innenverbände äußerten sich besorgt. Amthor dagegen betonte, Ziel sei kein Abbau von Bürgerrechten, sondern eine Entbürokratisierung.

Unstrittig bleibt: Sein Verhalten in der Augustus-Affäre war unangemessen und intransparent. Dass er heute in Schlüsselpositionen der Innenpolitik mitmischt, zeigt die Notwendigkeit konsequenter Lobbykontrolle – und wirft Fragen nach der politischen Erinnerungskultur auf.

Politiker und Rüstungslobby: Verflechtungen am Beispiel Otte und Hahn

Die Rüstungsindustrie in Deutschland unterhält einflussreiche Lobby-Netzwerke, in denen auch aktive Bundestagsabgeordnete Schlüsselrollen spielen. Zwei prominente Fälle – Henning Otte (CDU) und Florian Hahn (CSU) – verdeutlichen, wie eng Politik und Rüstungsbranche verflochten sein können. Beide sind Sicherheitspolitiker, die einerseits im Parlament über Verteidigungsprojekte mitentscheiden, andererseits in Lobbyvereinen der Rüstungsindustrie Führungsfunktionen innehaben. Dies wirft Fragen nach Transparenz und möglichen Interessenkonflikten auf.

Fallbeispiel 1: Henning Otte (CDU)

Henning Otte ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter aus Niedersachsen und war langjährig verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. In dieser Funktion setzte er sich regelmäßig für die Interessen der Rüstungsindustrie ein – beispielsweise für höhere Verteidigungsausgaben und lockerere Exportregeln. Zugleich übernahm Otte eine führende Rolle in einem einflussreichen Rüstungslobby-Verein: Bis Ende 2023 amtierte er ehrenamtlich als Vizepräsident Politik beim Förderkreis Deutsches Heer e.V. (FKH). Der FKH versteht sich als Netzwerk, das den Austausch zwischen Bundeswehr, Politik und Rüstungsunternehmen fördert. Entsprechend sind zahlreiche Rüstungskonzerne darin Mitglied und erhalten über den Verein privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern.

Mitgliedsunternehmen des FKH sind unter anderem:

  • Heckler & Koch (Waffenhersteller)
  • KNDS (Krauss-Maffei Wegmann/Nexter Defense; Panzer-Produzent)
  • Rheinmetall (Panzer, Munition, Elektronik)

Die enge Verbindung zwischen Otte und der Industrie zeigt sich auch in seinem Wahlkreis: Im niedersächsischen Unterlüß – Teil von Ottes Bundestagswahlkreis – betreibt Rheinmetall ein großes Werk zur Panzer- und Munitionsproduktion. Otte hat sich in der Vergangenheit öffentlich immer wieder für den Erhalt und die Förderung dieses Standortes stark gemacht, da hier hunderte Arbeitsplätze von Rüstungsaufträgen abhängen. Diese doppelte Rolle als Wahlkreisvertreter und zugleich Vizepräsident eines Rüstungs-Lobbyvereins birgt einen offensichtlichen Interessenkonflikt: Entscheidungen im Verteidigungsausschuss oder bei Beschaffungsprojekten könnten zugunsten seines Heimatstandorts beeinflusst werden.

Kritiker monieren, dass Ottes Lobby-Funktion einerseits keinerlei Registrierungspflicht im neuen Lobbyregister unterliegt (da es sich um ein Ehrenamt handelt) und andererseits keine externe Kontrolle besteht, die seinen Einfluss auf sicherheitspolitische Weichenstellungen überwacht. Organisationen wie LobbyControl bewerten den Fall Otte deshalb als Beispiel für mangelnde Transparenz – die Gefahr bestehe, dass private Industrieinteressen hier über öffentliche Sicherheitsinteressen gestellt werden.

Fallbeispiel 2: Florian Hahn (CSU)

Florian Hahn ist seit 2009 Bundestagsabgeordneter aus Bayern und profilierter Verteidigungspolitiker der CSU. Er gehört dem Verteidigungsausschuss an und war sicherheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Landesgruppe. 2025 verhandelte Hahn in den Koalitionsarbeitsgruppen die Themen Außen- und Verteidigungspolitik mit – er war Mitglied der zuständigen Verhandlungsgruppe („AG 12“) bei den Koalitionsverhandlungen. Parallel dazu übt Hahn – ähnlich wie Otte – ein Lobby-Ehrenamt in einem Rüstungsverband aus: Seit 2013 ist er Vizepräsident der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V. (IDLw). Diese Vereinigung vernetzt Politik, Bundeswehr und wehrtechnische Firmen im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Als Vizepräsident ist Hahn explizit für die „Kontaktpflege parlamentarischer Bereich“ zuständig, fungiert also als Bindeglied zwischen Bundestag und Industrie.

Im IDLw sind zahlreiche Rüstungsunternehmen als Fördermitglieder vertreten – unter anderem der deutsche Panzerbauer Rheinmetall und der US-Luftfahrtkonzern Lockheed Martin. Hinzu kommen weitere wehrtechnische Firmen (z.B. Elektronik- und Triebwerkshersteller) sowie militärnahe Verbände.

Auch bei Hahn ergibt sich eine heikle Überschneidung von Mandat und Industrienähe. Als Mitglied des Verteidigungsausschusses und Teilnehmer an Koalitionsgesprächen hat er Einfluss auf Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr – gleichzeitig pflegt er als IDLw-Vizepräsident enge Kontakte zu genau den Unternehmen, die von solchen Rüstungsprojekten profitieren.

Rechtlich bewegt sich Hahn damit ähnlich in einer Grauzone: Ehrenamtliche Lobbyfunktionen wie diese müssen nicht im Lobbyregister gemeldet werden und verstoßen nicht gegen das Abgeordnetengesetz, das lediglich bezahlte Lobbytätigkeiten untersagt. Die fehlende Regelung führte in Hahns Fall bereits in der Vergangenheit zu Kritik. So war er bis 2017 zusätzlich im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) sowie im Aufsichtsrat der Wehrtechnik-Firma IABG tätig – Posten, die er nach öffentlichem Druck niederlegte. Besonders brisant: 2016 setzte sich Hahn im Bundestag für ein Rüstungsprojekt ein, von dem die IABG direkt profitierte. Beobachter werteten dies als klaren Interessenkonflikt, zumal Hahn hier als Parlamentarier faktisch für die Anliegen eines Unternehmens eintrat, in dessen Führung er saß.

Organisationen wie LobbyControl und Transparency International fordern daher strengere Regeln, um solche Doppelrollen einzudämmen. Sie plädieren etwa für erweiterte Offenlegungspflichten – auch für unbezahlte Lobby-Tätigkeiten – und für klare Unvereinbarkeitsregeln, wenn Abgeordnete in Bereichen entscheiden, in denen sie gleichzeitig industrienahe Ämter bekleiden.

Fazit

Die Fälle Otte und Hahn zeigen exemplarisch, wie politischer Einfluss und Rüstungslobbyismus ineinander greifen können. Beide Abgeordnete bewegten sich mit ihren Lobby-Verbindungen im derzeit rechtlich Erlaubten, dennoch bleiben demokratische Zweifel: Wann sprechen sie als gewählte Volksvertreter – und wann als Interessenvertreter der Rüstungsindustrie?

Mehr Transparenz und gesetzliche Schranken für solche Verflechtungen werden daher zunehmend eingefordert. Die Debatte über legitimen Lobbyismus versus unzulässige Einflussnahme erhält durch diese Beispiele neue Nahrung.

Der Förderkreis Deutsches Heer e.V. – Einblicke in Struktur und Einfluss

Vizepräsidentschaft von Joe Weingarten

Dr. Joe Weingarten, bis März 2025 Bundestagsabgeordneter der SPD, ist aktuell Vizepräsident Politik im Förderkreis Deutsches Heer e.V. (FKH). Diese Funktion ist sowohl auf der offiziellen Vereinswebsite als auch in seinem früheren Bundestagsprofil dokumentiert. Es handelt sich um ein ehrenamtliches Amt mit direktem Bezug zu sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen.

Lars Klingbeil: Frühere Präsidiumstätigkeit

Auch Lars Klingbeil (SPD) war bis 2017 Mitglied im Präsidium des FKH. Er hatte diese Rolle auf Vorschlag der SPD-Fraktion übernommen, unter anderem wegen seiner Erfahrungen am Bundeswehrstandort Munster. Ende 2017 legte er das Amt nieder – auch aufgrund öffentlicher Kritik an der Nähe zur Rüstungsindustrie.

Mitgliedsunternehmen und wirtschaftliche Netzwerke

Zu den über 200 fördernden Mitgliedern des FKH zählen nahezu alle relevanten deutschen Rüstungs- und Zulieferunternehmen. Dazu gehören unter anderem:

  • Rheinmetall
  • KNDS Deutschland (Krauss-Maffei Wegmann)
  • Heckler & Koch
  • Diehl Defence
  • Airbus Defence & Space
  • Lockheed Martin Deutschland
  • ZF Friedrichshafen

Der FKH versteht sich als Dialogplattform zwischen Bundeswehr, Politik, Wissenschaft und Industrie – de facto fungiert er als strukturell verankerter Lobbyverband der Rüstungswirtschaft.

Finanzstruktur laut Jahresabschluss 2023

Einnahmen und Ausgaben

Laut dem im Lobbyregister veröffentlichten Jahresabschluss 2023 erzielte der FKH:

  • Mitgliedsbeiträge: 1.068.046,00 €
  • Kapitalerträge: 5.493,77 €
  • Gesamteinnahmen: 1.073.611,77 €
  • Gesamtausgaben: 1.113.330,39 €

Ausgabenschwerpunkte

  • Personalkosten: 349.007,50 €
  • Operative Ausgaben: 637.522,57 €
  • Vereinsführung: 28.972,53 €
  • Bürokosten: 97.827,79 €

Der Bilanzverlust wurde durch eine Rücklagenentnahme in Höhe von 39.718,62 € ausgeglichen. Die Ausgaben zeigen deutlich den Schwerpunkt auf Personal und Lobbykommunikation.

Eintrag im Lobbyregister

Seit Februar 2022 ist der FKH offiziell im Lobbyregister des Bundestags gelistet (Registernummer R002017). Er gibt dort u. a. an:

  • ein Vollzeitäquivalent für Lobbyarbeit zu beschäftigen,
  • jährlich über eine Million Euro aufzuwenden,
  • in den Bereichen Verteidigung, Sicherheit und Militär tätig zu sein.

Damit ist der FKH formal als Interessenvertretung eingestuft – eine frühere Lücke im Transparenzsystem wurde damit geschlossen.

Kritik durch Transparenz-Initiativen

Verflechtungen von Mandat und Lobbyrolle

Organisationen wie LobbyControl kritisieren, dass aktive Abgeordnete im FKH Führungsrollen übernehmen – wie aktuell Joe Weingarten oder zuvor Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Johannes Kahrs. Dies führe zu Rollen- und Interessenkonflikten, da politische Kontrolle und wirtschaftliche Interessenvermischung nicht klar getrennt seien.

Intransparenz bei der Gremienbesetzung

Der FKH benennt öffentlich nur seinen Vorstand. Das erweiterte Präsidium – mit bis zu 15 Personen – bleibt undokumentiert. Damit fehlen zentrale Informationen über Einflussstrukturen, obwohl eine politische Relevanz eindeutig besteht.

Privilegierte Einflussformate

Der FKH veranstaltet Hintergrundgespräche, parlamentarische Abende und Expert:innenforen mit politischer Prominenz – ohne Öffentlichkeit. Kritiker:innen sehen darin eine systematische Schattenlobby, bei der keine gleichwertige Teilhabe für zivilgesellschaftliche Akteure besteht.

Belegbare Fälle von Einflussnahme

Beispielhaft wurde 2009 berichtet, dass FKH-nahe Abgeordnete eine Bundeswehr-Beschaffung blockierten, um einem bestimmten Anbieter (Krauss-Maffei Wegmann) den Zuschlag zu ermöglichen. Auch frühere Skandale – etwa rund um Manfred Hirt – belegen, dass der FKH kein neutrales Diskussionsforum, sondern ein industriepolitisches Machtinstrument ist.

Fazit

Der Förderkreis Deutsches Heer e.V. steht exemplarisch für institutionalisierten Lobbyismus im Verteidigungssektor. Seine formale Eintragung im Lobbyregister war überfällig – doch entscheidende Schwächen bestehen fort: fehlende Transparenz, unregulierte Nebenrollen politischer Entscheidungsträger:innen und ein Mangel an unabhängiger Kontrolle. Die Forderungen nach strengeren Unvereinbarkeitsregeln und umfassender Offenlegung gelten daher als zentral für eine demokratisch kontrollierbare Sicherheitspolitik.

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Sina Beckmann

Sina Beckmann ist Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag und Unternehmerin. Seit 2018 ist sie bei den Grünen aktiv und seit 2019 Sprecherin des Grünen Kreisverbandes Friesland. Im Stadtrat Jever und Kreistag Friesland engagiert sie sich für Wirtschaft, Tourismus und erneuerbare Energien. Zusammen mit Manuel hostet sie den Podcast “Politik aufs Ohr”. In ihrer Freizeit genießt Sina Aktivitäten in der Natur und engagiert sich in lokalen Umweltprojekten.

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