von Sina Beckmann
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Wie viel Trump verträgt die Welt? Der Eklat im Weißen Haus

Die Weltpolitik steht vor einem Wendepunkt: Trumps Treffen mit Selenskyj (Volodymyr Oleksandrovyč Zelensʹkyj) im Oval Office endete in einem offenen Eklat, einer öffentlichen Demütigung des ukrainischen Präsidenten und einem abrupten Stopp der US-Hilfen. Die Bilder dieses Moments gingen um die Welt – und die Folgen sind weitreichend.

In unserem Podcast „Wie viel Trump verträgt die Welt?“ analysieren wir die dramatischen Ereignisse, die transatlantischen Folgen und die wachsende Unsicherheit in Europa. Droht eine geopolitische Neuordnung? Welche Rolle spielt Großbritannien? Und muss Europa endlich sicherheitspolitisch eigenständiger werden?

Klar ist: Trumps Kurs stellt die internationalen Bündnisse auf eine harte Probe. Während Russland applaudiert, suchen europäische Regierungen nach einer neuen Strategie.

Bildausschnitt aus dem Gespräch im Oval Office zwischen Trump und Selenskyj

Eskalation im Weißen Haus: Das komplette Gespräch zwischen Trump und Selenskyj

Es sollte ein diplomatisches Treffen werden, doch es wurde zu einem politischen Eklat: Das Kamingespräch zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus zeigt schonungslos, wie tief die Gräben zwischen den USA und der Ukraine mittlerweile sind. Trump forderte einen „Deal“ statt langfristiger Sicherheitsgarantien, stellte Selenskyj öffentlich bloß und drohte mit dem sofortigen Stopp der US-Militärhilfe - ein historischer Moment, der die geopolitische Lage nachhaltig verändern könnte.

Aussagen von Trump über Selenskyj

Trump über Selenskyj während der Ukraine-Affäre (2019–2020)

  • 25. Juli 2019: Im berüchtigten Telefonat forderte Trump von Selenskyj Ermittlungen gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter.
  • September 2019: Trump bezeichnete das Telefonat als “perfekt” und bestritt jegliches Fehlverhalten.

Trump über Selenskyj während des Ukraine-Kriegs (2022–2024)

  • Februar 2022: Trump nannte Putins Vorgehen in der Ukraine “genial” und bezeichnete die russischen Truppen als “größte Friedenstruppen, die ich je gesehen habe”.
  • Oktober 2022: Trump warf Selenskyj vor, keine Vereinbarung mit Moskau zur Beendigung des Krieges zu treffen, und sagte: “Wir geben weiterhin Milliarden von Dollar an einen Mann, der sich weigert, einen Deal einzugehen.”
  • Oktober 2024: Trump bezeichnete Selenskyj als “einen der besten Geschäftemacher, die ich je gesehen habe”, da er jedes Mal, wenn er komme, “100 Milliarden Dollar” erhalte.

Trump über Selenskyj im Wahlkampf 2024 und Oval Office Eklat 2025

  • 18. Februar 2025: Trump behauptete fälschlicherweise, Selenskyjs Zustimmungsrate liege bei 4 % und forderte Neuwahlen in der Ukraine.
  • 19. Februar 2025: Trump bezeichnete Selenskyj als “Diktator ohne Wahlen”.
  • 28. Februar 2025: Während eines Treffens im Oval Office warf Trump Selenskyj vor, “das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel” zu setzen, und bezeichnete ihn als “überhaupt nicht dankbar”.
  • 3. März 2025: Trump warnte, Selenskyj “wird nicht mehr lange da sein”, wenn er keinen Frieden mit Russland schließt.

Das Treffen im Oval Office kompakt

Hintergrund des Treffens

  • Selenskyj reiste nach Washington, um ein Abkommen über seltene Erden mit den USA abzuschließen.
  • Trump forderte eine Gegenleistung für die bisherige US-Militärhilfe: Die USA sollten die Hälfte der Erträge aus den seltenen Erden erhalten.
  • Selenskyj war prinzipiell bereit für diesen Deal – trotz fehlender Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
  • Trump verbindet mit der Ukraine negative Erfahrungen, insbesondere aus seiner ersten Amtszeit, als er Selenskyj zu Ermittlungen gegen Hunter Biden drängen wollte. Dies führte damals zu seinem ersten Amtsenthebungsverfahren.
  • Während Bidens Amtszeit blockierte Trump monatelang die Ukraine-Hilfe durch die Republikaner im Kongress.

Eskalation im Oval Office

  • Während des Treffens zeigte Selenskyj Bilder von zurückkehrenden ukrainischen Kriegsgefangenen, worauf Trump zunächst mitfühlend reagierte.
  • Dann eskalierte das Gespräch: Trump drängte auf einen sofortigen Waffenstillstand – ohne Sicherheitsgarantien.
  • Selenskyj betonte, dass Putin frühere Waffenstillstände mehrfach gebrochen habe und Sicherheitsgarantien essenziell seien.
  • Trump lehnte diese Forderungen ab und behauptete, dass Russland nach einem Deal keinen weiteren Angriff starten würde.
  • Trumps Vizepräsident J.D. Vance unterstützte ihn und warf Selenskyj vor, undankbar zu sein und öffentlich zu verhandeln.

Öffentliche Demütigung Selenskyjs

  • Trump sagte Selenskyj mehrfach, er habe „keine guten Karten“ und warnte ihn vor einem Dritten Weltkrieg.
  • Trump behauptete, die Ukraine sei nicht allein gewesen, da die USA ihr bereits Milliarden gegeben hätten.
  • Schließlich stellte Trump Selenskyj vor ein Ultimatum: Entweder akzeptiere er den Deal oder die USA würden ihre Unterstützung beenden.
  • Als Selenskyj sich weigerte, ließ Trump ihn aus dem Weißen Haus werfen.
  • Trump unterbrach die US-Hilfen für die Ukraine mit sofortiger Wirkung. Betroffen sind Waffen und Munition im Wert von rund einer Milliarde Dollar, was etwa 30 % der ukrainischen Waffenlieferungen ausmacht.

Folgen und internationale Reaktionen

  • Selenskyj reiste direkt nach London, wo er von europäischen Staats- und Regierungschefs unterstützt wurde.
  • Großbritannien sicherte neue Finanzhilfen für die Ukraine zu.
  • Ein EU-Gipfel wurde angesetzt, um über weitere Schritte zu beraten, einschließlich einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben in Europa.
  • Die Diskussion über die Unabhängigkeit Europas von den USA nahm Fahrt auf, da klar wurde, dass sich Europa nicht mehr auf Trump verlassen kann.

Die Geschichte zwischen Trump und Selenskyj und das vorläufige Finale

Oval Office Eklat 2025 – Dramatisches Treffen Trump–Selenskyj

  • Öffentlicher Eklat am 28. Februar 2025 im Oval Office: US-Präsident Donald Trump und Vizepräsident J.D. Vance attackierten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor laufender Kamera. Sie warfen ihm mangelnden Respekt und Undankbarkeit vor, nachdem Selenskyj auf Sicherheitsgarantien für sein Land im Kriegsfall bestanden hatte.
  • Die Situation eskalierte, als Trump betonte, ihm gehe es um einen „Deal“ – ein Rohstoff-Abkommen als Gegenleistung für US-Militärhilfe – und nicht um langfristige Garantien für die Ukraine. Selenskyj entgegnete, ohne Sicherheitsgarantien sei kein Ende der Kämpfe möglich. Daraufhin beschuldigte Trump ihn, das Leben von Millionen zu riskieren und „keinen Frieden zu wollen“ .
  • Trump drohte schließlich offen, die US-Unterstützung einzustellen, falls kein Waffenstillstand zustande komme. Vizepräsident Vance warf Selenskyj fehlende Dankbarkeit vor. Trump brach das Treffen abrupt ab; die geplante Pressekonferenz wurde kurzfristig gestrichen. Selenskyj reiste ohne das vorgesehene Abkommen ab.
  • Politische Konsequenzen: Trump setzte neue Gespräche aus und fror kurz darauf die US-Militärhilfe für Kiew ein. Westliche Verbündete stellten sich demonstrativ hinter Selenskyj und rügten Trumps Vorgehen, während Russland Trumps konfrontativen Kurs ausdrücklich lobte. In den USA wurde der Vorfall entlang der Parteigrenzen bewertet – Republikaner begrüßten Trumps harten Kurs, Demokraten warnten vor einem Bruch des transatlantischen Bündnisses.

Ukraine-Affäre 2019 – Das berüchtigte Telefonat und Trumps erstes Impeachment

  • Am 25. Juli 2019 führte Trump ein inzwischen berüchtigtes Telefonat mit dem frisch gewählten ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Darin drängte er ihn mehrfach, Korruptionsermittlungen gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter einzuleiten. Trump verband diese Bitte – formuliert als „I would like you to do us a favor though“ – mit dem Hinweis, die USA hätten bereits „viel für die Ukraine getan“.
  • Wenig später wurde bekannt, dass Trump kurz vor dem Telefonat US-Militärhilfen von nahezu 400 Millionen US-Dollar für die Ukraine auf Eis gelegt hatte. Ein anonymer Whistleblower-Bericht deckte im August 2019 den möglichen Machtmissbrauch auf: Demnach habe Trump die Freigabe der Hilfe als Druckmittel eingesetzt (Quid-Pro-Quo), um die gewünschten Untersuchungen zu erzwingen.
  • Diese „Ukraine-Affäre“ mündete in ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Das Repräsentantenhaus leitete am 24. September 2019 formell eine Impeachment-Untersuchung ein. Am 18. Dezember 2019 wurde Trump wegen Machtmissbrauchs und Behinderung des Kongresses angeklagt  – der Vorwurf: Er habe sein Amt genutzt, um sich mit ausländischer Hilfe Vorteile im US-Wahlkampf 2020 zu verschaffen. Im Februar 2020 sprach der US-Senat Trump allerdings von allen Anklagepunkten frei.

Trumps Ukraine-Politik – Unterstützung mit Vorbehalten und politischem Kalkül

  • Trumps Ukraine-Politik war von einem transaktionalen Ansatz geprägt: Er betrachtete US-Hilfen als Mittel zum Zweck und erwartete Gegenleistungen. So sollten beispielsweise umfassende Militärhilfen nur fließen, wenn für die USA ein greifbarer Nutzen heraussprang – etwa in Form eines lukrativen Rohstoff-Deals in der Ukraine als „Gegenleistung“.
  • Zwar lieferte die Trump-Regierung der Ukraine zunächst durchaus Unterstützung (z.B. ließ Trump 2018 Panzerabwehrwaffen vom Typ Javelin an Kiew verkaufen) und verhängte Sanktionen gegen Russland. Doch Trump verknüpfte Hilfe oft mit eigenen politischen Kalkülen. So ließ er 2019 bereits bewilligte Hilfsgelder zurückhalten, um Druck auf Selenskyj aufzubauen – ein beispielloser Vorgang, der schließlich den Impeachment-Skandal auslöste.
  • Trump monierte zudem regelmäßig, Europa tue „zu wenig“ für die Ukraine, und drohte indirekt mit Zurückhaltung der Hilfe, falls die Verbündeten nicht mehr Lasten übernähmen. Seine Skepsis gegenüber uneingeschränkter Unterstützung speiste sich auch aus Verschwörungstheorien: So behauptete Trump (über seinen Anwalt Giuliani und Medien wie Fox News) fälschlich, die Ukraine habe sich 2016 in die US-Wahlen eingemischt, und nutzte dieses Narrativ, um die Hilfe an Kiew infrage zu stellen .
  • Insgesamt wirkte Trumps Kurs ambivalent: Einerseits Waffenlieferungen und Lippenbekenntnisse zur Ukraine, andererseits der wiederholte Versuch, Kiew zu Zugeständnissen zu zwingen – sei es durch Zurückhalten von Hilfe oder durch öffentlichen Druck. Dieses Vorgehen unterschied sich deutlich von dem seiner Vorgänger, die in der Regel die strategische Bündnistreue höher gewichteten als persönliche Gefallen.

Rolle von Rudy Giuliani – Trumps Schattenkanal und dessen Einfluss

  • Trumps persönlicher Anwalt Rudy Giuliani spielte in der Ukraine-Affäre eine zentrale Rolle. 2019 etablierte er eine inoffizielle Schatten-Diplomatie: Giuliani umging offizielle Kanäle des Außenministeriums und suchte direkten Zugang zur ukrainischen Führung, um Trumps Interessen durchzusetzen.
  • Im Auftrag Trumps drängte Giuliani ukrainische Vertreter – teils hinter den Kulissen, teils öffentlich – auf Ermittlungen gegen die Bidens. Er verbreitete zudem unbelegte Behauptungen, die Ukraine habe sich zugunsten der Demokraten in den US-Wahlkampf 2016 eingemischt, und traf sich mit ukrainischen Politikern, um diesen Druck aufzubauen. Dabei arbeitete er eng mit Vertrauten in der US-Regierung zusammen (u.a. mit EU-Botschafter Gordon Sondland und Sondergesandtem Kurt Volker).
  • Giulianis Einfluss zeigte konkrete Folgen: Er soll maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die US-Botschafterin in Kiew, Marie Yovanovitch, im Mai 2019 vorzeitig abberufen wurde – sie galt als Hindernis für Giulianis Machenschaften. Außerdem koordinierte Giuliani mit US-Offiziellen wie Sondland die Strategie, Selenskyj zu einer öffentlichen Ankündigung von Ermittlungen zu bewegen (etwa indem ein Weißes-Haus-Besuch und die Freigabe der Militärhilfe in Aussicht gestellt wurden).
  • Durch diese parallele Diplomatie unterlief Giuliani die offizielle US-Außenpolitik. Sein Vorgehen trug wesentlich dazu bei, dass die Ukraine-Affäre ins Rollen kam: Eine innenpolitisch motivierte Kampagne wurde auf dem diplomatischen Parkett vorangetrieben – letztlich mit dem Ergebnis, dass Trump sich dafür vor Kongress und Öffentlichkeit verantworten musste.

Trump vs. Biden – Unterschiede in der Ukraine-Politik

  • Strategie und Ziele: Trump und sein Nachfolger Joe Biden verfolgen gegensätzliche Ansätze. Trump setzt auf einen schnellen „Deal-Frieden“ und ist bereit, Kiew unter Druck zu setzen – auch wenn dies bedeutet, russische Narrative oder Forderungen zu bedienen. Biden hingegen stellt die Verteidigung der regelbasierten Ordnung in den Vordergrund: Unter ihm unterstützen die USA die Ukraine umfassend militärisch und finanziell, um Russlands Aggression zurückzuschlagen, bevor über Frieden verhandelt wird .
  • Umgang mit Selenskyj: Trump pflegte einen konfrontativen Ton gegenüber Selenskyj. So beschimpfte er ihn 2025 als „Diktator ohne Wahlen“, womit er ein russisches Propaganda-Narrativ übernahm. Biden dagegen behandelt Selenskyj als Partner auf Augenhöhe und betont die Legitimität von dessen Führung im Krieg. Biden hielt engen Kontakt, koordinierte sich eng mit der ukrainischen Seite und reiste im Februar 2023 sogar persönlich nach Kiew, um Solidarität zu zeigen – ein starkes Signal der Unterstützung.
  • Militärhilfe und Bedingungen: Unter Trump war die US-Militärhilfe zeitweise an Bedingungen geknüpft (siehe 2019) – im Jahr 2025 ließ Trump die Waffenlieferungen aussetzen, um Selenskyj zu Verhandlungen zu zwingen. Biden hingegen schnürte milliardenschwere Hilfspakete für Kiew, ohne politische Gefallen im Gegenzug zu fordern, und er schmiedete eine internationale Koalition zur Unterstützung der Ukraine. Während Trump also eher mit Druck und Konditionen agiert, setzt Biden auf Bündnistreue und das Signal, die Ukraine „so lange wie nötig“ zu unterstützen.

Internationale Auswirkungen – Globale sicherheitspolitische Bedeutung

  • Ein Bruch oder Kurswechsel der USA in der Ukraine-Frage hätte weitreichende globale Folgen. Ohne amerikanische Hilfe stünde die Ukraine militärisch stark geschwächt da, da essenzielle Waffen und Munition (etwa Patriot-Luftabwehrraketen oder HIMARS-Munition) fast ausschließlich von den USA geliefert werden. Ein Ende der US-Hilfen hätte daher „extrem ernste“ Konsequenzen für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine.
  • Europa unter Druck: Die europäischen Verbündeten müssten versuchen, den Wegfall der USA zu kompensieren, wären damit aber kurzfristig überfordert. Europa ist weder willens noch in der Lage, die volle US-Rolle zu ersetzen. Besonders die nukleare Schutzgarantie der USA lässt sich nicht einfach substituieren – russische Drohgebärden würden in einem solchen Szenario an Gewicht gewinnen. Der Eklat hat Europas Abhängigkeit vom amerikanischen Sicherheitsgaranten schmerzlich vor Augen geführt.
  • Signal an andere Mächte: Ein Nachlassen der US-Unterstützung könnte die globale Abschreckung unterminieren. Autoritäre Regime würden daraus Nutzen ziehen: Russland verbucht Trumps harten Kurs gegenüber Selenskyj bereits als Erfolg und begrüßt offen die Haltung Washingtons. Auch China und andere Staaten beobachten genau, wie standhaft der Westen bleibt – sollten die USA ihre Linie in der Ukraine weicheren, könnte dies als Signal von Schwäche gelten und womöglich aggressive Ambitionen andernorts befeuern.

EU-Gipfel zur Ukraine: Neue Bündnisse in Europa?

„Dies ist ein entscheidender Moment für Europa“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Auftakt des Krisengipfels in Brüssel. Tatsächlich stehen die EU-Staaten vor gewaltigen geopolitischen Herausforderungen: Erstmals seit 1945 gerät die europäische Sicherheitsordnung ins Wanken, da die USA unter Donald Trump ihre Rolle als verlässlicher Bündnispartner in Frage stellen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert an, doch Washington hat seine Militärhilfe für Kyjiw gestoppt – ein Schock für Europa. **Die EU sah sich gezwungen, in eigener Regie zu handeln**, um die Ukraine weiter zu unterstützen und die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken. Allerdings offenbarte der Gipfel auch die internen Zerwürfnisse in der EU: Insbesondere bei der Finanzierung und Fortführung der Ukraine-Hilfen herrschte Uneinigkeit, und die Differenzen mit Trumps USA über den richtigen Kurs könnten kaum größer sein.

Kernpunkte des Gipfels:

  • Uneinigkeit über die Ukraine-Hilfe – Blockade durch Orbán: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verweigerte die Zustimmung zu einer gemeinsamen Ukraine-Erklärung aller 27 EU-Staaten. Während **26 Länder ihre Unterstützung für Kyjiw bekräftigten**, enthielt sich Orbán und forderte stattdessen direkte Verhandlungen mit Moskau nach dem Vorbild Trumps. Diese Blockade unterstrich die fehlende Einigkeit der EU in der Ukraine-Frage.
  • Wandel in Europas Sicherheitsstrategie: Deutlich wurde ein Paradigmenwechsel: Die EU-Kommission verliert an Einfluss, während Nationalstaaten die sicherheitspolitische Führung übernehmen. Anstelle der Brüsseler Institutionen geben nun Regierungschefs den Ton an – notfalls auch außerhalb des üblichen EU-Rahmens –, um handlungsfähig zu bleiben.
  • Neue Führungsrolle von Macron und Merz: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Deutschlands designierter Kanzler Friedrich Merz traten als zentrale Akteure auf. Das Duo übernahm eine **prägende Führungsrolle** bei Initiativen für Europas Sicherheit. Macron brachte etwa eine Ausweitung des französischen Atomschutzschirms für Europa ins Spiel, und Merz betonte, dass Europa seine Verteidigung endlich selbst in die Hand nehmen müsse. Beide koordinierten eng, um der EU in Zeiten abnehmender US-Rückendeckung strategische Orientierung zu geben.
  • Neue Bündnisse außerhalb der EU: Um die eigene Sicherheit zu stärken, sucht Europa verstärkt die Kooperation mit Partnern jenseits der EU-Grenzen. **Großbritannien, Norwegen und sogar die Türkei** – alle drei wichtige NATO-Mitglieder – rücken als sicherheitspolitische Verbündete in den Fokus. Durch solche neuen Bündnisse will Europa seine Verteidigung auch ohne volle US-Unterstützung auf ein breiteres Fundament stellen.
  • Finanzierung der europäischen Verteidigung: Die EU-Staaten einigten sich darauf, insgesamt rund 800 Milliarden Euro für die Verteidigung Europas zu mobilisieren. Dieses enorme Aufrüstungsprogramm soll über Jahre laufen und umfasst höhere nationale Rüstungsausgaben sowie neue EU-Fonds. Deutschland spielt dabei eine Schlüsselrolle: Die Bundesregierung unter Merz ist bereit, trotz traditioneller Schulden­scheu erheblich beizutragen und EU-Kredite mitzutragen, um die europäische Sicherheit zu finanzieren.
  • Orbáns Veto und EU-Handlungsunfähigkeit: Orbáns Starrsinn machte schmerzhaft deutlich, wie eine einzelne Regierung die EU außenpolitisch lähmen kann. **Die Einstimmigkeitsregel erwies sich als Achillesferse**: Solange jedes Land ein Veto einlegen kann, ist die Handlungsfähigkeit der EU in Krisen eingeschränkt. Der Gipfel musste daher einen Kompromissweg gehen – eine separate Erklärung ohne Ungarn – was die strukturelle Schwäche des Staatenbündnisses offenbart.
  • Herausforderungen einer neuen Sicherheitsarchitektur: Die unterschiedlichen Bedrohungswahrnehmungen in Europa erschweren den Aufbau einer einheitlichen Sicherheitsstrategie. Während osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Länder Russland als akute existenzielle Gefahr sehen, relativieren andere – wie Ungarn – die Dringlichkeit oder setzen auf Verhandlungen. Auch westeuropäische Länder mussten erst umdenken. Diese divergierenden Perspektiven machen deutlich, wie komplex es ist, eine neue, gemeinsame Sicherheitsarchitektur Europas zu formen.

Fazit:

Der EU-Krisengipfel zur Ukraine markiert einen historischen Wendepunkt. Europa steht vor der Aufgabe, seine Sicherheit eigenständig zu organisieren, nachdem jahrzehntelang Verlass auf den amerikanischen Schutzschirm war. Geopolitisch signalisiert der Gipfel zum einen Entschlossenheit: Die Europäer wollen ihre Verteidigung stärken und nicht länger passiv abwarten. Zum anderen bleiben Zweifel: Die Teil-Einigung in der Aufrüstung bei gleichzeitiger Uneinigkeit in der Ukraine-Frage zeigt, wie schwierig es ist, 27 Nationen auf einen Nenner zu bringen. In den kommenden Monaten und Jahren könnten sich verschiedene Szenarien abzeichnen. Optimisten hoffen, dass ein Kerneuropa – angeführt von Ländern wie Deutschland und Frankreich und unterstützt durch neue Allianzen – die strategische Autonomie vorantreibt und eine schlagkräftige europäische Verteidigung etabliert. Pessimisten hingegen warnen, dass interne Konflikte und die Abhängigkeit von den USA fortbestehen und Europas Ambitionen ausbremsen. Letztlich bleibt die entscheidende Frage offen, ob Europa seine strategische Unabhängigkeit wirklich erreichen kann, oder ob dieser Gipfel zwar ein wichtiger Schritt, aber noch nicht der Durchbruch auf dem Weg zu einem souveräneren Europa ist.

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Sina Beckmann

Sina Beckmann ist Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag und Unternehmerin. Seit 2018 ist sie bei den Grünen aktiv und seit 2019 Sprecherin des Grünen Kreisverbandes Friesland. Im Stadtrat Jever und Kreistag Friesland engagiert sie sich für Wirtschaft, Tourismus und erneuerbare Energien. Zusammen mit Manuel hostet sie den Podcast “Politik aufs Ohr”. In ihrer Freizeit genießt Sina Aktivitäten in der Natur und engagiert sich in lokalen Umweltprojekten.

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